Zwetana Penova,
Service & Product Design

Serendipity and the Machine

Published September 12, 2013

serendipity

Die Gabe, nebensächlichen Details Aufmerksamkeit zu schenken und diese dann kreativ kombinieren zu können, hat schon viele wichtige Entdeckungen vorangetrieben. Hier ein paar Entdeckungen, die quasi per Zufall gemacht wurden: Röntgenstrahlen (eigentlich wollte der Physiker Henri Becquerel ausprobieren, ob natürlich fluoreszierende Materialien Röntgenstrahlen aussenden), synthetische Farben (der Chemiker William Perkin, Post-Its (der Chemiker Spencer Silver "Spencer_Silver") suchte verzweifelt nach einem neuen Superkleber) und ach, die Chocolate Chip Cookies verdanken wir auch dem Zufall, dass der legendäre Ruth Graves Wakefield "Ruth_Graves_Wakefield") im Jahr 1930 die Kuvertüre ausging.

Serendipity in der Wissenschaft

In der Wissenschaft wird eine überraschende Entdeckung als Serendipity bezeichnet. Viele wissenschaftliche Entdeckungen, die als Zufall gefeiert werden, entstehen innerhalb wissenschaftlicher Experimente, die dem ganzen Endeckungsprozess eine Struktur vorgeben. Erst innerhalb einer solchen Struktur ist es überhaupt möglich, etwas Neues zu erkennen. Serendipity braucht einen Boden, auf dem sie wachsen kann. Aber ohne einen Hauch der Zauberei geht es auch nicht - hier eine kurze Anekdote darüber, wie die Post-Its-Entdeckung verlief:

Eigentlich wollte der amerikanische Chemiker Spencer Silver einen Superkleber herstellen, es wollte ihm aber nicht gelingen. Bei dem Versuch, zwei Zettel aneinander zu kleben, blieb der Kleber immer an einem Zettel hängen, dazu gingen die Blätter viel zu leicht auseinander. Eine Niederlage, die einen Freund des Chemikers sehr glücklich machte: Er ärgerte sich über die Lesezeichen, die ständig aus seinen Notizen fielen. Mit dem neuen Kleber blieben sie nun endlich haften und konnten sogar jederzeit entfernt werden! Ein Produkt war geboren, ohne das der Büroalltag heute nicht zu denken ist.

Serendipity in der Wirtschaft

Die Post-Its-Geschichte ist ein perfektes Beispiel dafür, wie eine zufällige Entdeckung zu einem innovativen, sehr erfolgreichen Produkt werden kann. Serendipity ist vielversprechend und doch so unkalkulierbar - wäre der Freund des Post-Its-Entdeckers nicht auf die besondere Funktion des Klebers aufmerksam geworden, gäbe es keine Post-Its. Warum wird über dieses Phänomen in der Wirtschaft heute so viel gesprochen?

Im Großem und Ganzen geht es um den Vorsprung durch Innovation, was sonst! Viele Unternehmen haben erkannt, dass die Arbeitsprozesse des industriellen Zeitalters zu unflexibel und nicht ausreichend innovationsfördernd sind. Natürlich kann man neue Ideen auch einkaufen, jedoch verlaufen die technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen heute so schnell, dass der „Einkauf der Innovation“ nur ein Teil der Strategie sein kann.

Doch bevor ich in meinem Artikel einige Modelle vorstelle und diese hinterfrage, möchte ich kurz auf die bemerkenswerte Geschichte des Ursprungs des Begriffes Serendipity eingehen.

Die Herkunft des Begriffes In dem persischen Märchen „Drei Prinzen von Serendip“ begeben sich drei Prinzen auf eine Reise. Keine Vergnügungsreise, vielmehr ein intellektueller Parcours, der Intelligenz und Wissen der drei Brüder prüfen soll. Die Aufgaben lösen die Brüder mit Bravour, doch wirklich bemerkenswert sind ihre Beweis- und Argumentationsketten. Denn bei der Suche nach den Lösungen konzentrieren sich die Prinzen nicht auf die offensichtlich relevanten Inhalte, sondern schenken den versteckten Details viel mehr Aufmerksamkeit. So stoßen sie immer auf die richtige Spur. In Europa wurde dieses charmante Märchen zum ersten Mal 1557 in Venedig publiziert. Im Jahr 1754 reflektiert der englische Reisende und Kunsthistoriker Sir Horace Walpole in einem Brief an den englischen Diplomaten Sir Horace Mann darüber, dass dank glücklicher Umstände unerwartete Entdeckungen ans Tageslicht kommen können - genau wie in dem persischen Märchen. Sir Walpole fehlte ein passender Begriff für dieses Phänomen, also kreierte er einen neuen und nannte ihn Serendipity, im Gedenken an die Heimat der Prinzen.

Arbeitsmodelle und Serendipity

Start-ups

Gespräche mit ein paar Berliner Start-ups bestätigten meine Beobachtung, dass Serendipity den Entrepreneurs sehr willkommen ist. Pioniergeist und bewegliche Strukturen versetzen die Start-ups in einen gewissen „Flow“, in dem viel Unerwartetes stattfinden kann. Funktionen und Ziele können schnell modifiziert, neue Perspektiven eingearbeitet und die Teams um weitere Experten erweitet werden.

Bei vielen Start-ups führen der Zeitmangel und ein enger finanzieller Rahmen dazu, dass wenig Muse für den Zufall bleibt. Man konzentriert sich auf das Wesentliche und versucht, möglichst viele Fehler zu vermeiden (zum Beispiel mit dem Lean-Prinzip). Dabei können gerade die Fehler so bereichernd sein! Hier ein Klassiker von Thomas Edison dazu: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“

Traditionelle Unternehmen

Traditionelle Unternehmen denken und handeln präventiv. Die Ziele und Aufgaben sind klar formuliert, die Verantwortlichkeiten bekannt und die Arbeitsschritte deutlich. Unter solchen Arbeitsbedingungen können gute Produkte von der Stange, jedoch keine neue Ideen entstehen. Es fehlt schlicht an Inspiration, Phantasie und Raum für das Experiment.

Viele Unternehmen haben das erkannt und finden Wege, innovative Arbeitsmodelle im Unternehmen zu schaffen. Serendipity als offizieller Titel ist in diesem Modellen nicht zu lesen, aber man lässt den Mitarbeitern viel Raum für Entdeckung und Kreativität:

  • Labs
    Eine ganze Reihe von Labs wurde in den letzten Jahren ins Leben gerufen. Egal ob groß oder klein, sie sind dafür da, die Gesetze der Alltagsproduktion zu brechen und entweder nach neuen Lösungen zu suchen, neue Methoden auszuprobieren oder gar zu forschen.
  • HCD-Arbeitsprozesse
    Human-Centered-Design räumt der Ideengenerierung sehr viel Platz ein. Die Arbeitsmethoden, die die Ideengenerierung fördern, zielen darauf ab, systematisch möglichst viele, auch radikale Ideen zu produzieren. Es wird in multidisziplinären Teams gearbeitet. HCD als Arbeitsprinzip gibt den Mitarbeitern eine biegsame Struktur, die viele neue Begegnungen, mit potenziellen Nutzern, mit Kollegen aus anderen Abteilungen und mit Experten, fördert.
  • Zeit für eigene Projekte
    Google-Labs hat es vorgemacht: Gib deinen Mitarbeitern einen Tag in der Woche für eigene Projekte und sie kommen motiviert und voller neuer Ideen wieder. Hört sich sehr einfach an, ist aber sehr wirkungsvoll und wird von vielen Unternehmen angeboten. Die Regulierung der Zeiten und auch die Methode, sich einen Überblick über die Projekte zu verschaffen, verlaufen dabei sehr unterschiedlich.

Serendipity-Machine

Dieser Begriff stammt aus dem gleichnamigen Buch von Sebastian Olma und beschreibt ein Businessmodell, das ebenfalls aus einem Zufall heraus entstand. Eigentlich vermietete das Unternehmen Seats2Meet weltweit Besprechungsräume, anscheinend mit nur mäßigem Erfolg. Um die Anmietung ihre Räume attraktiver zu machen, starteten sie einen Versuch: Der Platz in der Lobby wurde Freelancern kostenlos zur Verfügung gestellt, inklusive Internet, Tisch, Stuhl, Kaffee und Snacks. Auf einmal war das Haus voll mit Kreativen in der Lobby, die Schaufenster sahen einladend aus und sogleich kamen dann die Professionals in die angemieteten Räume. Das Modell funktionierte! Dank der kostenlosen Angebote nahm die Lobby nicht die Form eines gewöhnlichen Coworking-Spaces an, sondern zog immer wieder neue Leute mit verschiedenen Qualifikationen und Expertisen an.

Heute ist Seats2Meet ein Forum, in dem ein agiler Wissensaustausch zwischen den Unternehmen und den Freelancern stattfindet. Eine Win-Win-Situation, bei der man sich schnell den Rat eines Experten holen kann oder auch ein Teammitglied für ein neues Projekt findet. Serendipity ist in diesem Fall viel mehr als nur ein flatterndes Versprechen, sondern wird zu einer festen Komponente des Businessmodells. Dieses Prinzip ist skalierbar und wurde von verschiedenen Coworking-Spaces weltweit übernommen.

Und zum Schluss…

Serendipity stellt die klassischen Arbeitsabläufe auf den Kopf und ist nicht berechenbar. Umso anziehender ist der Gedanke, etwas Besonderes am Rande eines Experiments zu entdecken. Ich denke, in der Wirtschaft kann dieser Begriff erweitert werden: Es geht nicht immer darum, bis dato übersehene Neuheiten zu kreieren. Die Ziele können moderater ausfallen, gerade im Service-Bereich, an der Schnittstelle zu den Kunden oder in den Formen der Ansprache sehe ich viel Potential für Serendipity. Dabei kommt es sehr stark auf die Fähigkeiten der Menschen an, kreativ zu denken und zu kombinieren – wo kann man sich entfalten und was kann in die unternehmerischen Prozesse integriert werden.

Ob Serendipity ein fester, zentraler Bestandteil eines Modells sein kann? Ich denke, in manchen Situationen durchaus: Kreative Menschen, genug Zeit, gute Kommunikation, Knistern in der Luft und viel Koffein sind bestimmt die Komponenten, die den einen oder anderen genialen Zufall provozieren können. Ob allerdings der Dschinn immer aus der Flasche kommt, wenn man sie reibt?

Links

Viele Entdeckungen der Medizingeschichte gelangen völlig absichtslos

Serendipity als Lernstrategie

Ein Artikel über Serendipity in Computer Science

Ein Buch über die Innovation in großen Unternehmen. Autor: Matt Kindon, ISBN: 978-1118478103

Serendipity und Business Management